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Und Lena streckt die Zehen, so, dass sie den Stoff nicht berühren.
Der Nagellack ist noch nicht trocken.
Wir kannten uns schon länger. Er war lustig. Er hatte die Haare immer zusammengebunden, oben auf dem Kopf. Wie eine Palme, sagt Lena. Wir sassen am Tisch, drüben, in der Küche. Nur zwei Freunde, die an einem Tisch sitzen.
Mamour gehört nicht zu denen, die mit dem Boot übers Mittelmeer gekommen sind. Nein, Mamour ist geflogen, damals.
Er hatte ein Touristenvisum, 2009, als er in Paris landete. Er war ein Schweisser, der Arbeit suchte, der Geld nach Hause schicken wollte. Nach einigen Wochen hätte er ausreisen müssen. Doch Mamour blieb, erst in Frankreich, dann in Italien.
2011 setzte sich Mamour in Mailand in den Zug. Er solle bis Chiasso fahren, hatte ihm ein Freund gesagt, solle aussteigen, solle zur Polizei gehen, solle Asyl beantragen. Als Mamour vor den Beamten stand, hat er gelogen. Er wusste, als Senegalese hätte er keine Chance.
Mamour sagte, er sei aus Guinea, er heisse Diallo. Dass Chiasso zur Schweiz gehört, wusste er nicht.
Julia ist da, die jüngere Schwester von Lena. Mutter ist nervös, sagt Julia. Sie hat gefragt, ob ihr an die Abfallsäcke gedacht habt für den Apéro im Kocherpark.
Sie hat zwei Brüder und eine Schwester. Eine Durchschnittsfamilie. Die Eltern fahren Volvo, wohnen in einem Reihenhaus in Grosshöchstetten, weisse Wände und farbige Bilder. Beat, der Vater, sammelt Schallplatten, Beatles und Pink Floyd. Anna, die Mutter, geht mit dem Hund Trüffel suchen.
Ja, sagt Lena, an die Abfallsäcke haben wir gedacht. Aber Blasenpflaster brauche ich noch, falls die Schuhe drücken. Und Julia geht, holt Blasenpflaster.
Eigentlich, sagt Lena, wollte ich ihn gar nicht verführen. Mamour blieb drei Nächte, damals. Lena ging zur Arbeit, sie ist Oberstufenlehrerin in Thun. Am Abend kam sie nach Hause, und er war da.
Sie gingen spazieren, blödelten rum, und Mamour zeichnete Herzen in den Schnee. Am Wochenende gingen sie tanzen, machten Party, bis früh am Morgen. Oft zahlte Lena für beide, und Mamour trank nichts. C'est ma religion, sagte er.
Lena ging arbeiten, Mamour putzte zu Hause, räumte auf. Er betete im Gang, Allahu Akbar, auf einem roten Teppich. Ich brauche eine Beschäftigung, sagte er.
Mamour sollte in einer halben Stunde zurück sein. Er ist zur Metzgerei gefahren, um das Fleisch zu holen. Lamm. Für die Schweizer wird es Sekt geben, für die Senegalesen Rimuss.
So spricht Mamour oft. Wenn du ein guter Mensch bist, wird dir Gutes widerfahren, sagt er. Wenn jeder jeden respektieren würde, wäre die Welt besser. Ça, sagt Mamour, c’est ma religion.
Dunkel wars, die Vorhänge gezogen. Sie redeten, er auf dem Rücken, sie auf seiner Brust. Ich glaube, da hat er zum ersten Mal davon gesprochen.
Von einer muslimischen Hochzeit sprach er damals. Nicht von einer auf dem Standesamt. Der Islam lässt das nicht zu. Mit einer Frau zu leben, mit ihr zu schlafen, ohne verheiratet zu sein. Frühling 2013, zwei Monate nach dem ersten Kuss.
Letzte Nacht, sagt Lena, letzte Nacht hat Mamour nicht viel geschlafen. Gestern Abend sass er vor dem Fernseher. Bis um 1 Uhr sass er noch da, sagt Lena, und Julia lackiert die Nägel.
Mamour sagt, Lena sei bereits jetzt seine Frau. Ende Juni haben sie muslimisch geheiratet, in der Moschee an der Hochfeldstrasse. Seit dann, sagt Mamour, ist Lena meine Frau.
Ich kann nicht mehr sagen, wie ich reagiert habe, drüben, im Zimmer. Was er gesagt hat, hat Lena verstanden. Aber für mich, für mich war es völlig irrsinnig, über eine Hochzeit zu sprechen, zwei Monate nach dem ersten Kuss.
Klar, es ging ihm um eine religiöse Hochzeit, sagt Lena. Sie aber fand: Wenn wir heiraten, dann auch auf dem Standesamt.
Eine SMS von Tante Silvia. Sie gratuliert und wünscht viel Glück für die Zukunft. Meine Mutter hat es allen erzählt, sagt Lena. Sie ist vor dem grossen Spiegel im Schlafzimmer, zusammen mit Sarah, der Trauzeugin.
Sie merkte es, als Mamour sie mitnahm zu Freunden. Alle sassen um einen Tisch, in der Mitte eine Platte. Lena fand Gefallen an der afrikanischen Kultur.
Als sie ihren ersten Streit hatten. Bin ich dein Sklave?, hatte er gefragt. Und Lena rastete aus, knallte die Schlafzimmertür zu.
Und dann, als sie Mamour ihren Eltern vorstellte. In der Küche in Grosshöchstetten kochte er senegalesisch, seine Mutter half ihm via Telefon. Er kann sehr gut kochen, lobte Beat, der Vater.
Es gab viele schöne Momente in dieser Zeit, sagt Lena. Brunch bei den Eltern. Zelten am Zürichsee. Übernachten bei Freunden. Oder damals, als Mamour mitkam auf einen Ausritt mit den Pferden. Der Monsieur wollte keinen Helm anziehen, sagt Lena.
Die Angst vor der Polizei, sie war immer da. Und er sass den ganzen Tag zu Hause, konnte nicht arbeiten. Genervt war er. Gestresst, weil er mit einer Frau zusammenlebte, obwohl er nicht durfte.
Weil er seiner Mutter Geld schicken wollte, aber selber kaum hatte. Weil er blockiert war, hier in der Schweiz.
Es gab Diskussionen. Diskussionen, die alle auf das Gleiche hinausliefen. Eine Hochzeit würde alles ändern. Und Lena sagte immer: Ich brauche Zeit.
Die Frauen giggeln, unterhalten sich in Wolof, der Muttersprache vieler Senegalesen. Lena versteckt sich hinter der Schlafzimmertür. Mamour soll die Braut noch nicht sehen.
Plötzlich war Lenas Konto leer. Sie hatte alles bezahlt. Miete, Kleider, das Handy. Bis kein Geld mehr da war.
Mamour konnte das nicht. Er konnte nicht auf Kosten einer Frau leben, sagt Lena, das ging nicht, nicht in seiner Kultur. Ich muss arbeiten, sagte er.
Sie legten zwei Couverts ins Regal im Schlafzimmer. Jeder erhielt 240 Franken Sackgeld pro Monat. Lena gab Mamour etwas ab, damit er seiner Mutter weiterhin 100 Franken pro Monat schicken konnte.
Mamour ist unter der Dusche, Lena raucht auf dem Balkon. Dann muss auch sie sich beeilen, zieht das Brautkleid an.
Er fand keine Ruhe. Er war gestresst, nervös, reagierte komisch, sagt Lena. C’est ma religion. Eine Hochzeit würde alles ändern. Lena hatte Zweifel.
Lenas Eltern zahlten Mamour einen Deutschkurs, 15 Lektionen pro Woche in der Migros-Klubschule. Und Lena musste Steuern nachzahlen. 8000 Franken. In Raten, immerhin.
Packst du die noch ein, bitte, sagt Lena zu jemandem. Bitte pack die Zigarre noch ein. Mamour will sie mit meinem Père rauchen, nach der Trauung.
Zieht den Ring vom rechten Ringfinger, schiebt ihn wieder drauf. Chéri, ruft sie. Kommst du? Zieht den Ring runter, schiebt ihn wieder rauf.
Alles würde ändern. Lena fühlt sich unter Druck gesetzt. Er sagte es, immer wieder. Er drehte durch zu Hause. Er wurde verrückt. Ich brauche Zeit, sagte Lena.
Drei Monate lang sprachen sie nicht über eine Hochzeit. Drei Monate, in denen nicht viel passierte, die aber trotzdem entscheidend waren.
Sie ging mit Mamour tanzen, ging unter die Leute. Wollte nur nicht alleine zu Hause sitzen. Nicht nachdenken.
Lena und Mamour haben ausdrücklich eine kurze Trauung verlangt. Eine Hochzeit – reduziert auf den gesetzlichen Teil.
Ein Aussenstehender kann das nicht nachvollziehen, sagt Lena. Man hat so eine romantische Vorstellung vom Heiraten, sagt sie. Und die hatte ich ja auch. Die habe ich immer noch.
Ich habe immer darauf gewartet, dass ich sagen kann, ich bin mir sicher. Aber dieses Gefühl kam nicht, sagt Lena.
Und Lena sagte sich: Entweder ich warte und warte und warte, bis Mamour irgendwann gefasst wird. Oder ich mache etwas, um herauszufinden, ob ich diese Heirat will. Ob ich Ja sagen kann.
Es kam mir vor wie ein Angriff, sagt Lena, als ich dort um ein Gespräch bat, bei der Beratungsstelle für binationale Ehen.
In der ersten Reihe zerknüllt Anna, die Mutter, ein Taschentuch in ihren Händen. Beat streicht ihr über den Nacken.
Nach der Trauung will Beat mit Mamour eine Zigarre rauchen. Natürlich sind auch Ängste da, sagt Anna. Aber falls es nicht funktionieren sollte, wäre man ja schnell wieder geschieden.
Die Frau vom Standesamt liesst Artikel 159 des Zivilgesetzbuches vor. Die Rechte und Pflichten der Ehegatten.
Doch die Frau stellte nur Fragen. Übers Kinderkriegen. Über die Religion. Alles Fragen, die auch Lena hatte. Fragen, von denen ich glaubte, eine Antwort zu haben – mir aber nicht sicher war.
Eine Heirat ist die einzige Möglichkeit. Die einzige, die wir haben, wenn wir zusammen etwas aufbauen wollen.
Ich kenne die Risiken, sagt Lena. Das klingt doof, aber ich weiss, was passieren kann. Vielleicht leben wir in fünf Jahren getrennt.
Lena zündete sich eine Zigarette an. Sommer 2013, draussen, vor dem Eingang der Beratungsstelle. Das Gespräch war zu Ende, eine sachliche Betrachtung ihrer Beziehung.
Ich weiss noch, sagt sie, ich weiss noch, wie meine Mutter mich angeschaut hat, Sommer 2013, vor dem Eingang der Beratungsstelle.
Von…
… Dominik Galliker (Konzept, Text, Audio- und Videoschnitt)
… Enrique Muñoz García (Bilder, Videos, Schnitt)
… Daniel Barben (Informatik)
Mitarbeit: Guido Mingels, Tobias Habegger